Eine Retrospektive

Später Abend

Schon die ersten gestalterischen Äußerungen des Menschen, die wir in steinzeitlichen Höhlen finden, haben vor allem ein Thema: ihn selbst! Ob in schematischen Strichzeichnungen, in stilisierten Steinfiguren oder in magischen Handabdrücken, damals wie heute ist „das eigentliche Studium der Menschheit der Mensch“, wie Goethe es formulierte.

Auch für den Maler und Bildhauer Erhard Löblein steht die menschliche Figur, der Mensch als Individuum und als soziales Wesen, im Mittelpunkt seines Schaffens.

015_1979 Seine frühesten Gemälde zu diesem Thema sind Arbeiten in Kasein auf Karton aus den Jahren 1979/80. Sie verbinden realistische Gestaltungsweisen mit einem Hauch von Surrealismus. In bühnenhaft gestalteten Räumen mit weiten Perspektiven spielt der Künstler selbst eine nachdenkliche Rolle in Inszenierungen, die von einer stillen Dramatik erfüllt sind. Kühle Farben entrücken das Geschehen noch stärker in einen abgeschlossenen magischen Bereich.
Aufstand der Klone Diese Neigung zum Surrealismus zeigt sich auch in späteren Werken immer wieder, so z. B. in dem bestürzend aktuellen Bild „Aufstand der Klone“ von 1988. Diese Arbeit ist ein Beispiel aus einer ganzen Reihe von Entwürfen, die Gesellschaftskritik mit surrealen und mythologischen Motiven verbinden.

In diesen Jahren entwickelt Erhard Löblein auch seinen eindrucksvollen, archaisch anmutenden Menschentyp, der sinnbildhaft die frühzeitlichen

 

Wurzeln des modernen Menschen aufscheinen lässt. Bis heute arbeitet er an seinem ernsten und tiefen Menschenbild und variiert es in immer neuen Sichtweisen. Dieser Menschentypus lässt erkennen, dass der Maler Erhard Löblein auch Bildhauer ist. Schon die Oberfläche seiner Arbeiten, Acryl auf Leinwand, häufig mit Beimischungen von Sand, ist oft reliefartig strukturiert. Aber auch die Gestaltung des menschlichen Körpers zeigt bildhauerische Züge. Es sind antikische Gestalten mit kräftigen Gliedmaßen, die erdgebunden und schicksalsschwer vor kaum gekennzeichnetem Hintergrund agieren. Ohne Titel Und immer wieder fallen die großen, ausdrucksvollen Hände auf, Hände, die für Löblein "Werkzeuge des Geistes" (Kant) sind. Die Augen seiner Gestalten bleiben häufig geschlossen oder liegen verschattet im Dunklen. Es ist der Blick, der sich nach innen richtet, der die eigene Seele erforscht, den Sinn des eigenen Daseins sucht - ganz bei sich sind diese Menschen oder, wenn sich mehrere zusammenfinden, ganz ineinander versunken.

348_2004Dass Erhard Löblein immer wieder mit seinen Möglichkeiten spielt und mit neuen Ausdrucksmitteln experimentiert, zeigen die „Pictogramme“ aus dem Jahr 2004,
in denen er den menschlichen Körper mit Hilfe der Geometrie und leuchtender Farben zeichenhaft umformt und trotzdem die Anmut der weiblichen Figuren bewahrt.

Von Anfang an hat Erhard Löblein neben Akten, Porträts und Gruppenbildern biblische Themen aufgegriffen: sie sind,

wie seine mythologischen Motive, weniger als religiöse Bilder zu verstehen, denn als allgemein gültige, im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft verankerte Sinnbilder. So entstand z. B. 1989 ein Triptychon mit der Metamorphose einer Kreuzigung. In jüngster Zeit hat Löblein das „Letzte Abendmahl“ in die Moderne transponiert. „Später Abend“ ist der Titel der oberhalb dieses Textes abgebildeten Komposition, die ganz bewusst traditionelle Gestaltungsprinzipien von Abendmahlszenen aufgreift. Beim genauen Hinsehen aber erkennt man, dass diese Männergesellschaft aus unterschiedlichen Charakteren Variationen des alter Ego von Erhard Löblein darstellt. In diesen Selbstporträts reflektiert er sein Dasein als Künstler und Mensch, eine Möglichkeit des Innehaltens und der Selbstbetrachtung, wie sie in der Kunstgeschichte immer wieder anzutreffen ist.

Der-Mann,-der-mich-nicht-zu-bemerken-schien

Die Arbeiten der letzten beiden Jahre zeigen eine neue Sicht der menschlichen Figur: die archaisch - statuarischen Gestalten werden bisweilen von einem realistisch-expressiven Menschenbild abgelöst. Geblieben ist die eindringliche Körperlichkeit, verbunden mit einer geistigen Präsenz, die von großer Nachdenklichkeit geprägt ist.

 

©Liane Thau, Kunsthistorikerin